6
Jun
2007

Kokain in den Medien II

Der über seine Sucht gestolperte ehemalige Manager eines US-Konzerns bereitet gerade die Gründung einer deutschen Variante der amerikanischen Betty-Ford-Klinik vor.
So viel Vorsorge scheint angebracht: Die Deutschen haben den Pfad in die verschnupfte Gesellschaft entdeckt. Die Zahl der "erstauffälligen Personen" - vulgo: Neu-Kokser - ist laut dem "Suchtbericht Deutschland" seit 1985 auf das Zehnfache gestiegen; inzwischen kommen jährlich offiziell über 5000 neue Kokain-User hinzu. Tatsächlich, ahnen alle Experten, wird diese Zahl weit übertroffen.

Es gäbe, sagt Rolf Hüllinghorst, Geschäftsführer der Deutschen Hauptstelle gegen die Suchtgefahren, gerade bei Kokain eine "wahnsinnige Dunkelziffer". Anders als etwa Heroinabhängige nutzen Kokser kaum die Angebote der Drogenhilfe, werden deshalb von den Statistiken auch so gut wie gar nicht erfasst.

Rund eine halbe Million Deutsche haben in den vergangenen zwölf Monaten Kokain geschnupft. Und anders als beim Heroin gibt es für Kokser kein spezielles Einstiegsalter. Sogar Senioren, die jenseits der Rentengrenze sind, nahmen die erste Nase. "In der Wirtschaft begegne ich Drogen immer dort, wo die Überlebensängste übermächtig werden", sagt Bernd M. Michael, Europa-Chef der Werbeagentur Grey, "meistens hatten diese Leute den Zenit ihrer Erfolge bereits überschritten, als der Koks kam."

Die permanente "Überforderung unserer Phantasie, unserer Emotionen wie unserer Verantwortung", glaubt der Sozialwissenschaftler Günter Amendt, habe das Verlangen nach "Hilfsmitteln zur pharmakologischen Wiederherstellung einer ausgeglichenen Persönlichkeit" kontinuierlich wachsen lassen. So sei Kokain zum "Treibstoff der New Economy" geworden. Die Web-Gesellschaft ist on Line, im doppelten Sinn.

Kokain, sagt Wolfgang Götz, Leiter des Therapiezentrums Kokon in Berlin, "produziert die Wirkung, die diese Gesellschaft fordert" und sei daher die "perfekte Droge für unsere Gameshow-Gesellschaft. Alle müssen gut drauf sein, leistungsfähig und erfolgreich". Nur von den Folgen, psychischer Abhängigkeit und Selbstmordgefahr, rede niemand. Ein Regulativ, das die Lust auf den Stoff von Diego Maradona, Konstantin Wecker und Whitney Houston bisher bremste, wurde vom Markt geschwemmt: der Preis.

Weil der amerikanische Markt gesättigt war und die USA Ende der achtziger Jahre ihren Kampf gegen die weiße Droge verschärften, drängten die südamerikanischen Drogenbarone auf den europäischen Markt (Seite 154). Die Folge: Die Schickimicki-Luxusdröhnung wurde zur Massenware, die heute so billig wie nie zu haben ist. Für einmal Schnupfen ist man in Metropolen mit 30 Mark, in der Provinz mit 10 Mark dabei.

Besonders Kids mit "politoxikomanem Suchtverhalten", wie Drogenhelfer jene Jugendlichen nennen, die alles einwerfen, was Spaß verspricht, haben Koks in ihr Programm fürs grenzenlose Wochenend-Vergnügen aufgenommen. Raver, die einst nur Ecstasy für die lange Nacht brauchten, greifen zunehmend zum Kokain. Denn der Schnee hält, was die Amphetamine versprechen - den richtigen Rausch.

Die Attraktivität könnte größer nicht sein. Anders als gibbelnde Haschraucher und verelendete Heroinsüchtige können Kokainschnupfer unerkannt konsumieren.

Er habe nahezu jeden Tag mit Daum zusammengearbeitet, konnte daher Bayer Leverkusens Manager Reiner Calmund treuherzig versichern, doch "von Drogen habe ich bei ihm nichts gemerkt". Es bleibt wahr: Es dauert lange, bis Schnupfer ihre Nasen und Herzen ruiniert haben. Der "kontrollierte Konsum von Kokain ist möglich", stellte eine Projektgruppe der Frankfurter Universität nach Befragungen von Konsumenten fest, "und sie scheint sogar sehr verbreitet zu sein". Damit eignet sich Kokain ideal als Rauschgift der zweiten industriellen Revolution.

In den USA kokste sich gerade der 26-jährige Chef von Upside.com zu Tode, und auch in Deutschland, das befürchten Fachleute, wird die permanente Überforderung und Überreizung mit ziemlicher Sicherheit bald erste Opfer fordern. Denn schon immer waren die Deutschen ja eine Nation der Sucht. In Statistiken über den Gebrauch so genannter psychotroper Mittel liegt die Bundesrepublik beim Alkoholkonsum weit vorn, beim Tabak in der Spitzengruppe, und nach dem Haschisch-Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das den Besitz der Droge in geringen Mengen straflos stellt, ist laut Experten auch "die Probierbereitschaft" der Jugendlichen für Cannabis noch einmal spürbar gestiegen.

Aufhalten kann den Vormarsch von In-Drogen niemand.
Während Tabak- und Spirituosenindustrie jährlich mit Milliarden die typischen Einstiegssuchtmittel bewerben, hat die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung gerade einmal zehn Millionen Mark jährlich für vorbeugende Maßnahmen übrig. Wie eine "Lachnummer" (Hüllinghorst) wirkt denn auch die "Keine Macht den Drogen"-Kampagne des Deutschen Fußball-Bundes. Schließlich kassieren Verband und Vereine mit der Bierpromotion Millionen, schließlich bekennt sich DFB-Vizepräsident Gerhard Mayer-Vorfelder zu Wein- und Tabakkonsum.

Alles in allem, resümiert das Fachorgan "Kriminalistik" düster, sei die deutsche Rauschgiftpolitik mit der Umweltpolitik der siebziger Jahre zu vergleichen: "Eingegriffen wird erst dann, wenn der Rauch aus dem Schornstein quillt, 'at the end of the pipe'".

Gegen Kokain kommt ohnehin keiner an - zu strahlend ist das Image des weißen Pulvers. Die Regel ist dabei nicht der Kokser, der ständig drauf und süchtig ist. Die Regel ist der Gelegenheitskokser, der sich zu besonderen Anlässen wie Partys oder Clubbesuchen, manchmal auch bei größeren privaten Treffen mit Freunden Linien legt. In Szenekreisen ist Kokain so normal geworden, dass sich mancher Schnupfer kaum noch Mühe gibt, den Konsum zu verbergen.

Als ein kleines Trendmagazin in Berlin eine Party mit Lesung und DJ feierte, saß während des Programms in den vorderen Reihen ein stadtbekannter Partygänger, fingerte ungerührt den Stoff aus einem kleinen Briefchen und rieb ihn sich in die Nase. Niemand nahm Notiz davon. Und als derselbe Typ später auf dem Tresen mit einer Kreditkarte ein Hakenkreuz aus Kokain formte, um es vor Publikum genüsslich wegzuziehen, störte das nur jene in der Schlange, die deshalb länger auf ihr Bier warten mussten.

Es gibt keine Scham und keine Tabus mehr in dieser schönen, jungen Welt. Niemand wundert sich in Berlin, wenn in der Nähe der angesagten Läden morgens um fünf Uhr elegante junge Männer und Frauen ihre Bröckchen zerhacken und die Lines von den Kühlerhauben ihrer BMW-Cabrios schniefen.

Begehrt sind vor allem die Nummern der so genannten Handy-Men, also jener Dealer, die per Mobiltelefon zu jeder Tages- und Nachtzeit an jeden gewünschten Ort und auf jede gewünschte Party der Stadt bestellt werden können. Sie gelten als zuverlässig, verschwiegen und als Garantie für gute Qualität. Ihre Nummer kriegt nicht jeder; deshalb ist schon derjenige, der sie kennt, ein kleiner Star auf Partys und bei Privatessen. Die Handy-Men richten für ihre Kunden die Linien her, was mehr als nur Service ist: Für die Käufer fällt das strafbare Moment des Drogenbesitzes weg - der Konsum ist legal.

Wer keine Kontakte hat, kauft, was er kriegen kann, und das ist meist verschnittener Stoff, der vor und in Clubs von Unbekannten angeboten wird, oft überteuert, oft von schlechter Qualität. "Wenn du Glück hast, ist nur zu viel Backpulver drin, wenn du Pech hast, mieses Speed", schimpft ein Szenegänger über den Betrug mit synthetischen Drogen, "dann hast du zwei Stunden Herzrasen und Panik."

Der Hamburger Schnee, das weiß ein Fachmann, werde momentan zu regelrechten "Discountpreisen" verschleudert. Doch in der Portion zu 120 Mark sei "hauptsächlich Speed und Laktose drin - mit richtigem Koks hat das nichts zu tun". Das gestreckte Pulver, klagt der Kunde, ließe einen "draufkommen, als würde man einen Presslufthammer reiten". Die subtile, euphorisierende Wirkung reinen Schnees ist meist Großabnehmern vorbehalten.
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