6
Jun
2007

Kokain in den Medien

Deutschland geht on Line

DER SPIEGEL 44/2000 (30.10.2000)

30. Oktober 2000 Kokain, das den designierten Bundestrainer Christoph Daum in den Abgrund trieb, ist nicht mehr nur die Droge der Schickeria. Weil der Schnee billig ist, wenig Spuren hinterlässt und schnell wirkt, wurde er zum Zauberstoff der Web-Gesellschaft.

Drogen machen geil. Das war schon vor über 200 Jahren so, als "mehrere seiner Bekannten" die Ehre und das Vergnügen hatten, dem großen Deutschen Friedrich Schiller beim Liebesspiel zuzusehen. Was sie sahen, war beinahe animalisch. Die Augenzeugen hielten in Protokollen fest, dass der Dichter der "Räuber" "während eines Beischlafs, wobey er brauste und stampfte, nicht weniger als 25 Prisen nahm".

Schnupfer Schiller schniefte noch Tabak. Manchmal rauchte er auch zusammen mit seinem Freund und Rivalen Johann Wolfgang ein Haschischpfeifchen. Den Geheimrat Goethe überkam sofort "ein eigentümliches Gefühl, begleitet von einem tiefen Summen". Friedrich Schiller hingegen glaubte, bekifft begnadet formulieren zu können. Im Rausch brachte er Sätzchen wie "Ein frommer Knecht war Fridolin" zu Papier und entschlummerte sodann, "den Kopf auf den geleerten Wurstteller gebettet".

Christoph Daum zitiert gern die Klassiker, seit ihn sein belesener Schwiegervater mit einem Zettelkasten ausgerüstet hat. Am liebsten aber mag der Fußballtrainer Einstein (Albert). "Alles Denkbare ist auch machbar", sagt Daum gern, und solche Sätze machten ihn zu einem modernen Helden, zum Vordenker der Branche und am Ende sogar zum Messias.

Daum sollte im Sommer 2001 Bundestrainer werden - er wird es nicht, weil er seinen literarischen Stichwortgeber nicht nur zitiert, sondern auch im wahren Leben kopiert und weit übertroffen hat. Augen- und Ohrenzeugen, echte wie falsche, schrieben in der vergangenen Woche mit an einem zeitgenössischen Intimreport über laute Orgien und reichlich Drogen.

Schnupfer Daum schnupfte Kokain. Und das offenbar kräftig. Bei der Haaranalyse stellte das Gerichtsmedizinische Institut Köln einen Kokainparameter fest, der um gut das 60fache über dem eines cleanen Menschen lag.

Am vergangenen Freitag kamen dann die Fahnder. Die Staatsanwaltschaft Koblenz hatte Durchsuchungsbeschlüsse erwirkt: für Daums Privathaus, seine ehemaligen Büroräume bei Bayer Leverkusen und für eine Computerfirma, an der der Trainer beteiligt sein soll. Und sie wurden wohl auch fündig. Am Tresor in der Daum-Villa schlug ein Drogen-Spürhund an. Der Safe wurde geöffnet. Rauschgift war nicht darin, wohl aber aufschlussreiche Papiere, die beschlagnahmt wurden. Ein Ermittler: "Es war offenbar eine Art Regelwerk, wie sich Daums Lebensgefährtin Frau Camm im Fall ihres geschiedenen Ehemanns verhalten soll." Der verlangt vier Millionen Mark Provisionen aus einem dubiosen Immobiliengeschäft auf Mallorca.

Die für Organisierte Kriminalität zuständige Abteilung der Koblenzer Staatsanwaltschaft war Daum schon länger auf der Spur. Sie hatte einen Dealerring beobachtet und vor Wochen schon, als Daum noch als Retter des deutschen Fußballs galt, deren Telefone - Festnetz und Handys - überwachen lassen. Die Protokolle der Gespräche, so ein Fahnder, "füllen ein paar Aktenbände".

Bei der Auswertung tauchte einige Male auch Daum als Gesprächspartner der mutmaßlichen Dealer auf - deshalb wurde gegen den Bundestrainer in spe ein Ermittlungsverfahren wegen Drogenbesitzes eingeleitet. Dass der Fall Daum die Bevölkerung mehr erregt als der Parteispendenskandal, dass sich selbst die Kommentatoren und Leitartikler der seriösen TV-Nachrichtensendungen und Blätter mit Aufstieg und Absturz des koksenden Halbwaisen aus dem Ruhrpott befassen, ist Folge einer seltsamen Melange: Der Lieblingssport der Deutschen, der Mythos der Modedroge Kokain und die überall zu spürenden Versagensängste im Zeitalter des Turbo-Kapitalismus - alles gebündelt in der Person des Mannes mit den irrlichternden Augen.

Lange galt das weiße Pulver, lyrisch "Schnee" oder kurz "Koks" genannt, ausschließlich als Droge für den, der alles hat und das ganze Leben als Party begreift. Etwa jene exklusive Gesellschaft, die sich wöchentlich an der Hamburger Außenalster trifft. In der Villa sind alle - Serienschauspieler, alternde Popsänger und jede Menge Söhne und Töchter aus gutem Hause - gut drauf wie immer. Es ist ja auch wie immer: Ein DJ legt Housemusic auf, für die Damen gibt es Gratis-Champagner, den Herren werden Mixgetränke mit Wodka und dem Muntermacher "Red Bull" kredenzt. Alle sind cool, alle tun ganz entspannt, doch alle starren auf das Epizentrum der Feier - vor dem Designerkamin in der "Lounge" hält der Hausherr Hof. Er fragt: "Will sich jemand frisch machen?" Sie lächeln wissend, keiner sagt "Nein". Also verschwindet der Herr in einer Art Vip-Waschraum im zweiten Stock und kehrt nach wenigen Minuten zurück. "Es ist angerichtet", sagt er und grinst.

Eine Blondine schwärmt später: "Da gab's 'ne ordentliche Auslage auf dem Damen-Klo." Koksen, sagt ein Profi-Feierer, gehöre "einfach zum guten Ton". Konsumiert wird das Statussymbol des hedonistischen, konsumorientierten Lebensstils standesgemäß vom Silbertablett - mitunter aber auch ganz profan vom Fensterbrett, vom Spülkasten oder vom Toilettendeckel. Denn längst sind die Kreise der Schnupfer nicht immer so exklusiv wie die an der Alster. In jeder deutschen Großstadt gibt es Dutzende von Bars, wo Kokain zum Bier verkauft wird. Es gibt Dealer, die per Handy oder E-Mail benachrichtigt werden und mit ihrem Smart so flink beim Kunden sind wie der Pizza-Service. Es gibt Banker, Broker, Sportler, Werber und natürlich Computerfreaks, die Koks nehmen. Und deshalb gibt es Kokain überall zu kaufen - 100 bis 180 Mark das Gramm.

Der Stoff, weiß Rüdiger Engler, Leiter des Rauschgiftreferats beim Berliner Landeskriminalamt, sei längst zur "gemeinen Straßendroge" geworden. Wer in Hamburg nach Schnee fragt, erfährt schnell den Namen jener Imbissbude, die einen "Döner Spezial" im Programm hat - das Kokainkügelchen kommt mit dem Wechselgeld. Aktuelles Losungswort in den Bars von St. Pauli: "Kannst du mir helfen?" Viele können - für Geld, für Sex oder für die Aussicht auf umgekehrte Hilfe beim nächsten Mal.

Kokain ist das Zaubermittel des Dotcom-Zeitalters. Hasch oder Alkohol passen immer weniger in die Welt der Einzelkämpfer, die alle dem hinterherjagen, was allein zählt - Erfolg. Die Globalisierung und das World Wide Web verlangen neue Persönlichkeitsmerkmale. Der moderne Mann, die moderne Frau muss biegsam sein, beweglich, jedes Tempo mitgehen können. Doch der Mensch ist nicht dafür geschaffen, stets dem Hochgeschwindigkeitsdiktat der Microchips folgen zu können. Also wird überall die prinzipielle Bereitschaft vorausgesetzt, sich mit allen verfügbaren Mitteln, legalen wie illegalen, anzupassen - und dafür auch die Risiken in Kauf zu nehmen.

Die Gesellschaft, sagt Rolf Grigat vom Zentrum für Psychotherapie und Meditation im bayerischen Aham, habe sich "mit ungeheurem Aufwand auf das Erzeugen, Verteilen und Konsumieren von Ersatzstoffen und -handlungen" eingestellt. Der koksende Fußballtrainer und der Ecstasy einwerfende Techno-Freak würden sich ihre individuellen Rauschzustände genauso perfekt verschaffen wie der von Versagensängsten getriebene Workaholic, der machtbesessene Politiker oder der gewalttätige Jugendliche. Doch die natürlichen Mittel reichen immer seltener aus, das "innere Nichts" zu füllen, wenn "das Selbstwertgefühl im Arsch ist", wie es Rolf Bollmann drastisch formuliert.
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